Wenn ich heute auf Bühnen stehe und politische Vorträge halte, sehe ich nicht die selbstbewusste Luisa, die quer durchs Land reist, um jungen Menschen Mut zu machen. Sondern die 15-jährige Luisa, die in einem steinharten Bett liegt, wie man es aus Jugendherbergen kennt. Nur dass ich damals in einem Mädchenhaus war. Jeden Morgen bin ich um sechs aufgestanden, bin zur Schule gefahren und habe sorgfältig meinen Hausaufgaben gemacht. Nicht, weil es jemand von mir erwartet hätte, sondern weil ich mir selbst Halt geben wollte. Darüber habe ich sowieso kaum geredet, weil es auch keine Relevanz hatte. Kein Klassenkamerad wusste davon, denn warum auch? Ich wusste, wohin ich wollte: es in die Oberstufe schaffen und mich unabhängig machen. Alles andere hatte damals keine Bedeutung. Von außen sah das sicher nach einer Krise aus. Für mich fühlte es sich eher wie ein Schritt nach vorne an.

Natürlich gab es Streit, Müdigkeit und Momente, in denen alles schwer war. So ist es auf jeder Etappe im Leben – mal mehr, mal weniger. Heute spreche ich oft mit Mädchen, die den Schritt wagen wollen, ihr altes Leben zu verlassen und einen Neustart zu wagen, aber Angst haben. Angst davor, verurteilt zu werden, wenn sie Situationen verlassen, die ihnen nicht guttun. Ich verstehe das gut. Wirklich. Denn es ist nicht leicht und fühlt sich im ersten Moment oft angsteinflößend an. Aber vielleicht ist genau das Selbstbestimmung: den Mut zu finden, die eigenen Sachen zu packen, die Tür hinter sich zu schließen und mit einem funkelnden Blick nach vorne zu gehen. Weil man manchmal einfach nichts zu verlieren hat, aber so viel zu gewinnen.

Genau dieses Gefühl hat mich auch politisch werden lassen. Schon damals wollte ich eine Stimme für andere sein, für die, die oft übersehen werden. Einen Tag nach meinem Einzug ins Mädchenhaus kandidierte ich für den Vorsitz des Kinder- und Jugendbeirates meiner Stadt und gewann. Davor war ich ein Jahr stellvertretende Vorsitzende. „Wer, wenn nicht ich?“, dachte ich. Plötzlich hatte ich Verantwortung für über 20.000 Jugendliche in der Stadt. Und ich habe begonnen, diese Verantwortung Schritt für Schritt anzunehmen. So bin ich an den Punkt gekommen, an dem ich heute stehe.

Wir Menschen sind Mängelwesen. Das heißt, wir kommen nicht fertig zur Welt, sondern müssen unser Leben nach und nach selbst zusammenbauen. Das gilt nicht nur für Schule oder Ausbildung, sondern für alles, was wir tun. Neben der Schule habe ich mir bewusst nach und nach eine politische Karriere aufgebaut. Weil ich wollte, dass es mein Leben ist.

Vor ein paar Wochen habe ich die 11. Klasse mit 2,1 abgeschlossen. Hinter jeder Zahl steckt eine Geschichte. Und ja, manchmal bleibt eben auch mal eine Vier in Mathe (die hatte ich übrigens schon mit 15). Und das ist okay! Jede:r hat Stärken und Schwächen. Meine liegen vor allem in den Gesellschaftswissenschaften und das passt gut zu dem, was ich erreichen will. In wenigen Tagen beginnt bei mir auch die Uni und ich bin schon ganz aufgeregt. Denn ich werde dort anfangen, Philosophie zu studieren im sogenannten Juniorstudium. Auch das bedeutet wieder mehr Arbeit. Klar. Aber ich tue es auch für die 15-jährige Luisa, die heute staunen würde: Innerhalb von zwei Jahren habe ich Stück für Stück meinen eigenen Weg gefunden. Und ich möchte euch ermutigen, euren eigenen zu gehen mit all den Fähigkeiten, die schon längst in euch schlummern und nur darauf warten, ausgelebt zu werden. Um sie zu finden, hilft es manchmal, sich eine einfache Frage zu stellen: Was lässt mich morgens aufstehen? Was gibt mir das Gefühl, dass ich es selbst in der Hand habe? Und dann mutig mit diesem Gefühl in die Welt loszuziehen.